Globale hohe intensive Aktivierung (GHIA*)
Wir kennen es alle, die Phasen, in deren wir stark aktiviert sind, Adrenalin fliesst durch unser System und wir sind super leistungsfähig und aktiv in diesen Phasen. Unser Sympathikus in unserem Nervensystem ist dafür zuständig, uns in den Modus der Mobilisierung zu bringen.
Doch was, wenn unser ganzes zentrales Nervensystem nur noch den Mobilisierungszustand kennt oder dann der totale Shut down. Oder anders gesagt, es gibt nur noch die Extreme von ganz „an“ oder ganz“ aus“? Sprich das Nervensystem kennt kaum den Zustand, sich in die Phasen der Tiefenentspannung, der Ich-bin-Präsenz zu begeben. Und hier ist die erste Herausforderung – denn die meisten Menschen glauben im ganz “aus“ Zustand in der Entspannung zu sein. Doch in Wahrheit sind wir von dem ständigen „auf Hochtouren laufen“ irgendwann so erschöpft, das unser System eben „aus“-schaltet und dann sind wir eher immobil, nicht mehr anwesend (dissoziativ), fallen wie ein Stein in den Schlaf und sind am Morgen immer noch müde oder fühlen einfach so gar nichts mehr, was nach einer Phase von hoher Aktivierung eben sich dann ganz angenehm anfühlen kann.
Doch leider trügt der Schein. Denn im Shut Down, in der totalen Erschöpfung läuft die hohe Aktivierung des Nervensystems weiter. Es ist als ob die Bremse und das Gaspedal gleichzeitig vollständig gedrückt werden und das ist die Spannung, die weiterhin im Nervensystem läuft.
Bei einer globalen hohen intensiven Aktivierung ist das ganze Zentralnervensystem betroffen und durchdringt somit unser ganzes Leben und Physiologie. In diesem Zustand sind wir kontinuierlich im Überlebenskampf-Modus, ohne es wirklich zu merken.
Denn betrachten wir auch unserer Sozialisierung und Gesellschaftssysteme können wir erkennen, dass wir eine Gesellschaft der Reizüberflutung sind. In einer noch immer geprägten Leistungsgesellschaft sind es genau die Menschen, die ständig auf Hochtouren laufen, stark belastbar erscheinen, die am meisten Anerkennung und Rewards dafür erhalten. Doch auf Dauer läuft der Motor eben nicht und oft sind Burnout oder gerade bei GHIA Unfälle typische „Symptome“ und Folgen.
Ich selbst habe ein GHIA und weiss inzwischen, dass es bereits in der pränatalen Phase (Verlust Zwilling) als Ursache gelegt wurde. Seit ich in der Traumatologie und vor allem mit Somatic Experiencing unterwegs bin, fügen sich weitere Puzzle Teile für mich zusammen. Denn bereits mit 23 Jahren hatte ich ein Burnout mit Erschöpfungsdepression, einen Nervenzusammenbruch gefolgt von einem schweren Reitunfall. Es war zum Glück mein Wake-up Call, der meinem Leben eine neue Richtung geben hat und ich bin froh, dass es bereits schon so früh in meinem Leben statt gefunden hat.
Hat mein eine globale hohe intensive Aktivierung im Nervensystem gleicht das Leben eben einem Überlebenskampf und man ist immer gewappnet, hat immer 20 Sachen, die man angehen möchte und läuft in den Extremen von „alles miteinander“ oder dann „geht gar nichts mehr“. Es fehlt die Hardware im Nervensystem, um eben in den Bereich der wahren Entspannung zu gelangen. Denn das System ist kontinuierlich auf „Gefahr und Überleben“ geschaltet.
Wie entsteht eine globale hohe intensive Aktivierung (GHIA)
Globale hohe intensive Aktivierung (GHIA) werden oft bereits in der pränatalen und perinatalen Phase gelegt, vor allem jedoch bei Geburtstraumen. Somit findet die Prägung im Nervensystem in einer Zeit statt, wo das Nervensystem noch nicht fähig ist, sich selbst zu regulieren oder wir uns selbst beruhigen könnten. Wir sind auf die Co-Regulation von den Caretakern angewiesen. Findet also viel Stress, fehlende Regulierungsfähigkeit aufgrund eigener Traumen bei den Caretakern statt, Trennung von der Mutter durch Frühgeburt, Brutkasten, Operationen, Abwesenheiten oder Verluste statt, dann löst das im Nervensystem eine so starke Aktivierung aus, dass Todesangst und Überlebenskampf aktiviert werden und es dann aber in die Resignation und Shut down geht, weil eine fehlende Co-Regulierung das Nervensystem überfordert. Es ist zu viel, zu heftig, um zu bewältigen in diesem Moment.
Somit ist gerade bei globaler hohen intensiven Aktivierung die Bindungsthematik enorm wichtig. Dies zeigt sich dann später im Leben in Kontakt- und Beziehungsschwierigkeiten. Denn durch fehlende Bindung und somit Regulierung, kennt das „Nervensystem“ keine Sicherheit und somit ist Bindung-/Beziehung auch nicht mit Sicherheit verkoppelt, sondern mit Gefahr, Überlebenskampf oder Shut down (Resignation, gefühlstaub, dissoziativ).
Weitere Ursachen für ein GHIA können sein: Anästhesien, hohes Fieber und Delirium, Sauerstoffmangel wie bei Ersticken oder Ertrinken oder Stromschläge.
Auswirkungen und Symptome bei GHIA
Das System ist eben entweder überkoppelt – in hoher Aktivierung oder unterkoppelt – im shut down, nichts geht mehr. Dabei sind vor allem die Verdauungsorgane oder Atemfunktionen betroffen. Das System ist leicht überwältigt und es braucht wenig, um den Zustand der Überwältigung und des „zu viel“ auszulösen. Dabei sind starke Ängste ebenfalls ein grosses Thema. Wie bereits erwähnt ist die Bindungs -und Beziehungsthematik gross und muss sehr kleinschrittig und achtsam neu verhandelt werden. GHIA neigen zu Unfällen, weil eben durch Dauerstress im System oder eben gar nicht mehr richtig anwesend und präsent sein, die Unfallgefahr erhöht.
Auch Syndrome wie Migräne, chronische Müdigkeit, Schmerzsyndrome oder ADHS beinhalten in den meisten Fällen bereits ein GHIA dahinter.
Wie gehe ich damit um?
Ein GHIA bleibt ein GHIA, somit wird das System immer eine Tendenz haben, leicht in einen Überlebensmodus zu kippen und doch lässt sich durch die Traumatherapie eben die Selbstregulations- und Beziehungsfähigkeit zu sich selbst und dann auch anderen neu verhandeln. Dabei lernt das Nervensystem, dass es nicht immer in der Über- oder Unterkopplung sein muss, sondern eben, dass es sicher ist, in einen tiefen entspannten, präsenten Zustand zu kommen. Durch die Therapie kann das Nervensystem immer häufiger und länger in diesen Phasen der Entspannung verweilen und somit kommt eine grosse Gelassenheit, Leichtigkeit und innerer Frieden ins Leben. Das Leben wird immer Momente der Aktivierung und Schicksale bereit haben, wo gerade ein GHIA erst mal stark „Über“-Reagiert und erst mal in den Überlebensmodus geht aber die Regulation in die Entspannung des Nervensystems kann schneller und einfacher statt finden, wenn dies neu durch somatische Traumatherapie verhandelt wird in der Neurozeption.
Jedoch darf klar sein, dass wir hier von Langzeittherapie sprechen, wobei kurzfristig jede Sitzung eine Erleichterung bringt. Aber stellen wir uns vor, dass wir schon seit Jahrzehnten auf einer sechsspurigen Überlebensmodus-Autobahn fahren, dann ist der neue Trampelpfad, den wir beginnen zu legen eben auch längerfristig zu pflegen und auszubauen. Denn selbst wenn unsere System doch oft sehr lange die Adrenalin-Hochtour aushält gar über Jahrzehnte, auf Dauer, hält das kein System aus.
Deshalb lohnt es sich die eigene Resilienz im Sinne des sich selbst besser spüren und einen gesunden Lebensrhythmus zu finden, auszubauen und somit eine neue, vielleicht zum jetzigen Zeitpunkt kaum vorstellbare neue Lebensqualität zu erreichen.
Für mich persönlich kann ich sagen, dass bei mir das GHIA den Weg gelegt hat, mein Potential zu entfalten und immer mehr daraus zu entdecken. Denn gerade in den Traumata liegt für mich auch das Gold für das Leben, weil wir andere, neue Wege finden müssen, dem Leben zu begegnen. In dieser dualen Welt hat immer alles seine zwei Seiten und bietet uns dadurch auch die Möglichkeit, die Essenz, dessen was wir wahrhaftig sind mehr und mehr zu erfahren und somit mehr Authentizität. Dabei ist mir immer wichtig zu erwähnen, dass es hier niemals um Schuldzuweisungen oder zu viel Hinterfragen des „Warum“ oder „Opfer-Täter-Retter-Dynamik“ geht. Sondern was wir an neuen Ressourcen und neuen Wegen daraus entwickeln können. In der Traumatologie gehen wir vorwärts, in dem wir das „Rückwärts“ integrieren.
* Begriff von Peter A. Levine – Somatic Experiencing
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